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DER GLAUBE AN EINEN SPIELER

  • Writer: Long Arnold
    Long Arnold
  • Aug 3
  • 4 min read

Updated: Aug 15

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Diese Geschichte handelt nicht nur vom Tennis


Echte Inklusion


Im Coaching sprechen wir viel über Entwicklung, Fortschritt und Potenzial. Wir thematisieren auch Inklusion – wie man jedem Sportler und Lernenden Raum gibt. Doch selten sehen wir, wie echte Inklusion in der Praxis aussieht. Dies ist die Geschichte von mir als Tennistrainer und meinem autistischen Schüler Lorenz. Sie zeigt, was passieren kann, wenn wir uns nicht nur für die sportliche Entwicklung eines Menschen einsetzen, sondern auch für sein Wachstum als Person. Diese Geschichte ist auch eine Reflexion über die Rolle von emotionaler Intelligenz, Konsequenz und Menschlichkeit im Coaching – sowohl auf als auch neben dem Platz.


Lorenz' Reise


Lorenz ist ein begabter Tennisspieler. Er ist außerdem autistisch und lebt in einem Umfeld, in dem seine Bedürfnisse oft missverstanden oder heruntergespielt werden. Als er mit mir zu trainieren begann, war klar, dass er mehr als nur Technik hatte – er hatte Präsenz, Engagement und Potenzial.


Als Lorenz 18 wurde, konnte er an einem offiziellen, staatlich geförderten Sporttrainerkurs, Jugend+Sport, teilnehmen. Doch er konnte das komplexe Lern- und soziale Umfeld nicht allein bewältigen. Deshalb bot ich ihm als Trainer etwas Besonderes an: „Ich begleite dich. Jeden Tag. Ich bin da.“


Ich besuchte den gesamten Kurs gemeinsam mit Lorenz – acht Stunden täglich, auf und neben dem Platz. Nicht als passiver Beobachter. Nicht aus Pflichtgefühl. Sondern weil ich an Lorenz' Fähigkeit glaubte, mit der richtigen Unterstützung erfolgreich zu sein.


Lorenz schloss mit hervorragenden Noten ab.


Rückkehr für mehr


Zwei Jahre später, im Juli 2025, kehrten wir für den nächsten Jugend+Sport Kurs - Modul Fortgeschrittene zurück. Wieder begleitete ich ihn als Coach. Wieder blieb ich nah – präsent genug, um ruhige Anleitung, emotionale Unterstützung und gelegentliche Anstöße zu geben, wenn die Dinge für Lorenz zu viel wurden.


Lorenz stellte sich der Herausforderung. Am ersten Kurstag stellte ich ihn der Gruppe und den Experten vor – indem ich seine Stärken bestätigte, seine Herausforderungen anerkannte und die Teilnehmer zu einer respektvollen und verständnisvollen Zusammenarbeit einlud. Ich habe mich nicht für ihn entschuldigt. Ich habe seinen Autismus nicht verheimlicht. Ich habe seine Menschlichkeit und seine Fähigkeiten gewürdigt.


Er knüpfte neue Kontakte. Souverän leitete er eine Übungsstunde mit Kindern. Und als er die Trainingslektion eines anderen Teilnehmers beobachtete, schrieb er selbst Feedback auf – mit nachdenklichen, respektvollen Anregungen, die den anderen Coach sichtlich berührten. Als Trainer war ich nicht beim Feedbackgespräch mit dem Experten und Teilnehmer dabei, aber ich sah Tränen in den Augen des Teilnehmers, als Lorenz sein Feedback über ihn gab. Dieser Moment sprach für sich.


Der letzte Kurstag


Am letzten Tag wandte ich mich als Trainer an die gesamte Gruppe – Experten und junge Trainer. Lorenz stand neben mir.


Zuerst stellte ich Lorenz in den Mittelpunkt – nicht als Fall, sondern als Person. Ich fragte ihn, wie er die Woche erlebt hat. Er antwortete, dass es sehr cool war und dass er sichtlich stolz auf sich selbst sei, dass er es geschafft hat! Dann fragte ich ihn, was ihm besonders in dieser Woche gefallen hat. Er antwortete, dass alle, auch die Expertin, ihn als voll genommen haben.


Ich gab ihm Raum zum Sprechen und würdigte seine Leistung vor allen. Meine Botschaft war klar: Er gehört hierher. Ich sprach nicht für ihn – ich ließ ihn zu Wort kommen. Ich lobte die gesamte Gruppe für den respektvollen Umgang mit Lorenz: nicht mit Mitleid, sondern mit Respekt. Nicht als Projekt, sondern als Gleichgesinnter.


Ich dankte den Experten für die Anpassung der Struktur, um Lorenz Beständigkeit zu bieten. Auch dankte ich der Expertin in Lorenz' Gruppe dafür, dass sie Feedback von mir an die Teilnehmer mit Anstand annahm und es nie in einen Ego-Wettbewerb verwandelte. Sie zeigte emotionale Reife und Integrität als Coach, indem sie für ihre Werte einstand, trotz kritischer Anmerkungen der Teilnehmer. Ich habe ihr rückgemeldet: Das sind die starken Trainerpersönlichkeiten, die sich nicht verbiegen lassen, aber dennoch emotional intelligent handeln können.


Dann wandte ich mich an die Teilnehmer – viele von ihnen emotional intelligent, fähig, aber unsicher über ihren eigenen Platz in der Berufswelt – und sagte:


„Ihr seid alle schon sehr sehr sehr gut - gut genug. Was jetzt kommt, wird euch nur noch besser machen – aber nicht schlechter.“


Ich erklärte ihnen, dass emotionale Intelligenz absolut zentral als Trainer ist:

  • Zugeben, wenn man etwas nicht weiß

  • Offen für Improvisation sein

  • Vorbereitet, aber nicht starr sein

  • Verletzlichkeit als Stärke


… das sind zentrale Lektionen sowohl im Unterrichten als auch im Leben.


In Hochleistungsumgebungen wie dem Sport werden Menschen selten für das bestätigt, was sie sind – es geht fast immer darum, was sie leisten. Ich habe ihnen gesagt:

  • Du bist genug.

  • Du musst nicht perfekt sein.

  • Verletzlichkeit ist Stärke.

  • Improvisation ist kein Versagen, sondern Fürsorge.

  • Wachstum macht dich mehr – nicht weniger.

  • Höre auf die Bedürfnisse deiner Schüler und gehe auf sie ein.


Das sind Wahrheiten, die jeder gerne hören würde – besonders junge Menschen unter Druck. Und ich habe sie ihnen vermittelt, ohne zu predigen. Einfach ehrlich, von Herzen.


Im Raum herrschte Stille. Dann ertönte Applaus – nicht aus Förmlichkeit, sondern aus tiefer Wertschätzung. Ich hoffe, dass ich nicht nur Lorenz, sondern auch den Teilnehmern und Experten das Gefühl gegeben habe, gesehen zu werden – als Spieler, Lehrer und Menschen.


Coaching jenseits des Tennisplatzes


Diese Geschichte handelt nicht nur vom Tennis. Es geht darum, was passiert, wenn ein Trainer an seinen Schüler glaubt, sich engagiert und sich voll und ganz einsetzt. Es geht um Inklusion, die nicht nur theoretisch ist. Sie wird gelebt. Täglich. Immer wieder. Im Stillen. Es geht um emotionale Intelligenz, Bescheidenheit und den Mut, im Hintergrund zu agieren, während jemand anderes im Rampenlicht steht.


Wir sprechen viel darüber, was einen großartigen Trainer ausmacht. Manchmal ist es nicht die lauteste Stimme oder der beste Lebenslauf. Manchmal ist es der Trainer, der bleibt.


Und weil ich blieb, trat Lorenz vor. Lorenz' Geschichte ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Inklusion, Empathie und Engagement echte Veränderungen im Leben eines Menschen bewirken können. Bei Inklusion geht es nicht nur um Zugang – es geht um Unterstützung, Verständnis und darum, als vollwertiger Mensch wahrgenommen zu werden.


Ich habe einen Mikrokosmos geschaffen, der zeigt, wie eine inklusive, mitfühlende Gesellschaft aussehen könnte – eine Gesellschaft, in der Menschen nicht ausgegrenzt werden, weil sie nicht „passen“, sondern unterstützt werden, damit sie sich entfalten können. Ich habe versucht zu zeigen, wie man Menschlichkeit in Orte bringt, die oft starr oder gleichgültig sind.

 
 
 

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